Abenteuer Yukon Territorium
  • Bis zum Abend hatte ich wieder nur drei, vier Kilometer am Fluss entlang geschafft. Wieder baute ich mir auf einem erhöhten Uferstreifen unter einer umgestürzten Birke ein feuchtes und kaltes Notquartier und verbrachte dort eine der schlimmsten Nächte in meinem Leben, weil ich vor Angst und Ungewissheit kein Auge zumachen konnte. Ein kleines Feuer flackerte noch einige Stunden, doch nach Einbruch der Dunkelheit hatte ich keinen Mut mehr, zum Holzholen in den nahe liegenden Wald zu gehen, weil ein undefinierbares Geräusch zwischen den dunklen Bäumen, das ich nicht einordnen konnte, meine Phantasie zu Höchstform auflaufen ließ. Jeder Schatten am Waldrand hatte die Gestalt eines riesigen Grizzlys, jedes Rascheln im Laub ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. Ich zitterte vor Angst und meine rechte Hand krampfte sich schon seit Stunden schmerzhaft um den Griff meines lächerlich kleinen Jagdmessers.

    Als dann das Heulen der Wölfe immer näher kam, gegen Mitternacht leichter Schneefall einsetzte und die letzten Glutreste des wärmenden Feuers unter den tanzenden Schneeflocken endgültig verlöscht waren, war ich mit mir und der Welt wahrhaftig am Ende. Ich kann Euch überhaupt nicht sagen, an was ich gedacht habe, um meine lausigen Qualen in dieser Nacht für immer zu beenden. Die Temperatur sank bis zum frühen Morgen auf unter Null und trotz der Berge von Blättern, Moos und Zweigen, unter denen ich mich verkrochen hatte, habe ich noch nie in meinem Leben derart gefroren. Eine weitere Nacht unter diesen Voraussetzungen würde ich nicht überleben, da war ich mir sicher, als ich im Morgengrauen frierend, erschöpft und verzweifelt die Augen öffnete.

    Ich hatte noch drei Kekse, eine Handvoll Bonbons, vier wasserfeste Streichhölzer, ein Messer, etwas Tee, Kaffee und Zucker, eine dünne Isolierdecke, einen mickrigen Angelhaken mit zwei Meter Kunststoffleine, einige Blatt Toilettenpapier und ein paar Pflaster. Am Leib trug ich Unterwäsche, Socken, ein T-Shirt, eine Funktionshose, eine Windstopper-Fleecejacke und eine wasserdichte Gore-Tex-Jacke mit langen Rissen im linken Ärmel und am Rücken. Wanderstiefel, eine Wollmütze, ein Halstuch und fingerfreie Paddelhandschuhe komplettierten meine derzeitige Grundausrüstung. Das war nicht viel, aber deutlich mehr, als bei vielen anderen, die vor mir in dieser Gegend in ähnlich trostlosen Situationen unterwegs gewesen sein mussten! Das tröstete mich zwar nicht wirklich, aber was die Trapper, Goldsucher und Fallensteller damals konnten, sollte mir eigentlich auch gelingen! So sprach ich mir Mut zu und wühlte mich aus meinem feuchten und kalten Unterstand. In Gedanken bei den Pionieren, Fallenstellern und Abenteurern vor über einhundert Jahren machte ich mich wieder auf den Weg (...)
    49
    Band 5 - Upper Liard River