Abenteuer Yukon Territorium
  • Bei Niedrigwasser hingegen sind die häufig genug nur schlecht auszumachenden Felsen, Spitzen und Riffe die virulenteren Hindernisse, die es zu umfahren gilt. Aber jetzt soll es endlich losgehen! Nach unruhigem, kabbeligem Wasser in der ersten Linkskurve stoßen wir unvermittelt auf hohe stehende Wellen, die wir auf direktem Weg durchfahren. In unser Boot schlagen von beiden Seiten und von vorne mehrere Wellen ein, die das Kanu sofort knöcheltief füllen. Aber das kannten wir ja schon von den Fishhooks her. Erfahren, konzentriert und motiviert halten wir das Boot auf Kurs, beschleunigen, weichen aus, manövrieren, suchen nach der nächsten Durchfahrt. Die Sache beginnt, Spaß zu machen! Jetzt am Ende der Tour wollen wir es noch mal richtig wissen!

    Das Boot steigt vorn in die Höhe, stürzt mit dem Bug voraus ins nächste Wellental, nimmt erneut mächtig Wasser und wiederholt den gleichen Vorgang aufs Neue. Alles unter dem Gejohle von Jochen und mir, nur unterbrochen von meinen Kommandos, wenn Felsen oder Strudel zu umgehen sind, denn eine Kollision mit anschließender Kenterung wollen wir natürlich nicht provozieren. Und wieder rasen wir kontrolliert in die nächste, graugrüne Wasserwand, der Bug steigt in die Höhe, kaltes Wasser überspült mich auf meinem Sitz, während die nächsten stehenden Wellen mit wirbelnden Schaumkronen nur wenige Meter weiter auf uns warten. Kalter Regen peitscht in mein Gesicht, die fliegende Gischt zwischen den Strudeln und Wellen vernebelt die Sicht nach vorne, aber trotz aller Anstrengung und Konzentration sind wir mit Begeisterung bei der Sache. Warm und wasserdicht eingepackt, die Paddel fest in der Hand, suchen wir unseren Weg durch die brausenden Wogen, kommen uns vor wie Kapitäne zur See, mitten im Orkan fest auf der Brücke stehend. Uns kann nichts erschüttern!

    Das lange, kurvenreiche Mittelstück kommt eher ruhig daher. Einzelne, leicht zu umfahrende Felsen und gut erkennbare Stromschnellen machen keine besonderen Schwierigkeiten und lassen ausreichend Zeit, uns mit dem anderen Boot auszutauschen, die Kanus leer zu schöpfen und uns auf die kommende Strecke, die noch anstrengender sein soll, vorzubereiten. Auch Boot zwei kommt prima zurecht, auch ihnen hat es mächtig Laune gemacht, obwohl Gert und Christian bis über die Ohren nass wurden und das Wasser einige Zentimeter hoch im Boot stand.

    Begeisterung pur in beiden Booten, so macht Kanufahren Spaß, endlich zeigt uns der Pelly, was eine Harke ist! Jetzt kann ich so langsam nachvollziehen, warum meine Mitkanuten panisch werden, wenn sie nur das Wort vom ruhigen »Seepaddeln« hören! Das hier ist doch etwas ganz anderes, hier wird Mensch und Material gefordert, hier geht die Post ab!

    Aber Teil zwei des Granite hat es in sich. Lange Passagen mit gut ein Meter hohen stehenden Wellen wechseln sich mit gefährlichen Strudeln und heftigen Turbulenzen ab. Doch mit Erfahrung, Konzentration und ein wenig Glück konnten wir in dem rauen Wasser stets den sichersten Kurs halten und kollidierten dabei nicht mit den Unterwasserfelsen, die wegen der fliegenden Gischt erst im letzten Moment zu erkennen waren. (...)
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    Band 4 - Pelly River